Sinn und Dringlichkeit

Irgendwie schien alles dringlich auf dieser Ratssitzung. Der Samtgemeindebürgermeister hatte vor fünf Tagen mit einem Brandbrief an den Rat einen dringlichen Nachtrag zum Nachtragshaushalt nachgereicht. SPD/Grüne baten, ihren Antrag auf Einrichtung eines Fachausschusses für Flüchtlingshilfe als „dringlich“ anzuerkennen und die Union kam gar mitten in der Sitzung auf die Idee, den Haushalt ganz dringlich komplett zu kippen. Trotzdem wurde es nicht hektisch.

Die Niedersächsische Kommunalverfassung ist unmissverständlich: In dringenden Fällen kann die Tagesordnung zu Sitzungsbeginn durch Beschluss erweitert werden; dafür ist eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Vertretung erforderlich, heißt es im §59. SPD und Grüne begründeten die Dringlichkeit in ihrem Antrag: Die Mail des Samtgemeindebürgermeisters vom 15. Oktober 2015 verdeutlicht besonders deutlich die Brisanz im Themenfeld „Flüchtlinge“. Aufgrund der drängenden Lösungen für die vielfältigen Probleme käme eine Einrichtung/ Beschlussfassung auf einer späteren Samtgemeinderatssitzung nicht rechtzeitig.

Diese Auffassung vertrat der Samtgemeindebürgermeister unter Berufung auf einen Kommentar zu §59 nicht, denn man könne das ganz ordnungsgemäß zur nächsten Ratssitzung beschließen und teilte bei der Gelegenheit mit, dass die -entgegen der ursprünglichen Planung- doch noch in diesem Jahr stattfinden solle. „Gute Idee,“ befand Gruppensprecher Hinrich Bonin sarkastisch, „sicherheitshalber beantragen wir eine unverzügliche Einberufung nach §59 NKomVG, also innerhalb von vier Wochen, wobei wir uns um ein paar Tage nicht streiten werden.“

Als CDU-Sprecher Peter Bergen dann noch wortreich begründete, warum auch seine Fraktion nicht die Dringlichkeit erkennen könne, breitete sich allmählich Belustigung in rot-grünen Reihen aus. Immerhin: FDP-Einzelkämpfer Manfred Illmer schlug sich hier auf die Seite der Mehrheitsgruppe. Auf eine Abstimmung wurde aber schließlich verzichtet, denn die notwendige Zweidrittelmehrheit zeichnete sich nicht ab. „Lasst uns das jetzt mal nicht zum Kindergarten werden hier,“ erklärte Grünen-Ratsherr Oliver Glodzei leicht genervt, „es gibt noch mehr Dringliches heute.“

Zum Beispiel den Nachtragshaushalt, eigentliches Thema der Sitzung. Den fand die Union nun plötzlich allerdings nicht mehr dringlich, sondern schlug in einer Art spontanem Dringlichkeitsantrag vor, „heute nicht zu beschließen, sondern den gesamten Haushalt zu überarbeiten und in der nächsten Ratssitzung erneut zu diskutieren.“

Josef Röttgers war sichtlich um Fassung bemüht, als er erklärte, dass die Verwaltung das Geld jetzt benötige, um neue Unterkünfte anzukaufen und nicht in vier Wochen: „Ich dachte, das sei deutlich geworden.“

War es dann wohl doch noch, denn der dringlich benötigte Nachtragshaushalt wurde bei einer Gegenstimme mit großer Mehrheit angenommen. Damit kann Gellersen seinen bisher so erfolgreichen Weg in der Flüchtlingspolitik weitergehen.

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