Das Missverständnis mit der Bürgerbeteiligung

Das Wort von der Bürgerbeteiligung ist mal wieder en vogue. Eigentlich eine gute Nachricht, aber die Art und Weise, wie der Begriff momentan durch die Arena geschleift wird, wirft uns um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück.

Denn Bürgerbeteiligungsverfahren werden schon seit den siebziger Jahren intensiv entwickelt und angewandt. Es gibt Bürgerhaushalte und Zukunftswerkstätten, Bürgergutachten und Townhall Meetings und vieles mehr. Für ganz unterschiedliche Szenarien haben sich mal mehr, mal weniger geeignete Werkzeuge herausgebildet und im Erfolgsfalle etabliert.

Die Initiative Brockwinkel etwa hat beim Thema Baugebiet „Wienebütteler Weg“ ein Bürgerbeteiligungsverfahren durchgesetzt und lief dabei bei der Hansestadt scheinbar halboffene Türen ein. In Lüneburg hat man nämlich einige Erfahrung in Sachen Bürgerbeteiligung, ob durch die Zukunftswerkstatt „DialogN“ oder das Quartiersmanagement in Kaltenmoor.

Diese dem Planverfahren vorgelagerte Beteiligung darf man nicht verwechseln mit dem formellen Verfahren rund um einen neuen Bebauungsplan. Das wird zwar auch „Bürgerbeteiligung“ genannt, ist aber eigentlich nur eine Anhörung eventuell Betroffener. Deren Einwände werden dann „abgewogen“ und in der Mehrzahl für unbegründet erklärt. Im Fachjargon: „weggewogen“. Eine Erwiderung ist nicht vorgesehen.

Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungsverfahren haben wir auch in Reppenstedt gesammelt, wo auf grün-rote Initiative hin, in der vergangenen Wahlperiode eine Zukunftswerkstatt zur Ortsentwicklung mit mehreren Workshops durchgeführt wurde. Die Ergebnisse flossen und fließen noch in die Politik des Gemeinderates ein. Zur Umgestaltung des Jugendplatzes gab es eine Open Space Veranstaltung. Deren Ergebnisse werden in diesen Monaten umgesetzt.

Mit dem Konzept der Bürgerbeteiligung allenfalls entfernt verwandt sind direktdemokratische oder plebiszitäre Elemente einer Verfassung, wie wir sie aus der Schweiz kennen oder wie es sie beispielsweise auch im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz gibt. Dazu gehören etwa Bürgerbegehren, Volksentscheide und Einwohnerbefragungen. Sie haben grundsätzlich gemeinsam, dass einfache, meist Ja-Nein-Entscheidungen zu treffen sind.

Komplexe Probleme müssen also zunächst auf einfaches Entweder-Oder reduziert werden. Alternative Lösungen, oder Kompromisse müssen im Vorfeld der Entscheidung, also in der Regel von der Politik eingearbeitet werden. Bürgerbeteiligungsverfahren zielen hingegen darauf ab, dass die Bürgerinnen und Bürger einerseits Ziele definieren und andererseits bereits Wege und Lösungen mit erarbeiten.

Es ist hilfreich, diese Unterschiede zu kennen, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie man Bürgerinnen und Bürger stärker in den politischen Prozess einbindet. Die AfD im Landkreis kennt sie nicht, wirft daher alles, was irgendwie ähnlich klingt, in einen Topf und bringt das ganze -weitgehend wortgleich und mit einigem Bohei- als Anträge in die Gremien, in denen ihre Vertreter seit dem Herbst sitzen, egal ob’s passt oder eben nicht.

So auch im Gellerser Samtgemeinderat. Dort hat die AfD den Begriff „Bürgerbeteiligung“ mitnichten aufs Tapet gehoben. Sie hat ihn dort gefunden und versucht, ihn für ihre Zwecke zu verbiegen. Da werden Beschwerdemöglichkeiten gefordert, die es längst gibt, ein Ausschuss ohne Fachgebiet angeregt, obwohl die Türen der Fachausschüsse allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehen.

Es wird eine Einwohnerbefragung gefordert, ob die Grundschule Kirchgellersen Ganztagsschule werden soll. Der formelle Einwand der Verwaltung, dass eine Befragung nur eines Teils der Bürgerinnen und Bürger durch die Samgtgemeinde nicht infrage kommt, interessiert die AfD Ratsherren so wenig wie der Hinweis darauf, dass die, die es am ehesten betrifft -die Eltern- bereits befragt wurden.

Mit Bürgerbeteiligung hat das alles wenig zu tun. In der Debatte wurde dann deutlich, worum es den Kollegen vom rechten Rand eigentlich ging. Ratsherr Svend Schmidt (AfD) erklärte, dass „Studien zufolge“ die Mehrheit der Eltern die Ganztagsschule kritisch sehe. Auch auf Nachfrage wusste er keine Quelle für diese Behauptung zu nennen. Fakt ist: Rund 70% der Eltern in Deutschland wünschen sich einen Ganztagsschulplatz für ihr Kind (Jako-o Studie 2014).

Vermutlich sollte hier nur Stimmung in Richtung eines romantisch-konservativen Familienbildes gemacht werden, das der Realität längst nicht mehr entspricht. Mit dem angeblichen Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie hat es wohl eher nichts zu tun.

Wir Grünen in Gellersen finden Bürgerbeteiligung wichtig und richtig und haben sie daher in der zurückliegenden rot-grünen Wahlperiode wo wir konnten vorangebracht. Das werden wir auch in der neuen Konstellation weiter verfolgen. Wir setzen dabei auf themen- und projektbezogene Beteiligungsverfahren. Die werden wir weiterhin einfordern.

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